Geschichte
Die ersten 100 Jahre des TV Brennet-Öflingen
im Rahmen der Zeitgeschichte
Entstehung
Die Entstehung der Turnerbewegung in Deutschland geht zurück auf die Napoleonischen Kriege am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Turner unter Friedrich Ludwig Jahn, dem sogenannten Turnvater, orientierten sich an zwei politischen Idealen. Zum einen erstrebten sie einen einheitlichen deutschen Nationalstaat statt der territorialen Zersplitterung, zum anderen traten sie für liberale Freiheitsrechte ein. Nach den Befreiungskriegen, die weder die nationale Einheit noch mehr Freiheit brachten, verbündeten sich die Turner mit den Burschenschaften der Studenten. Den autoritären Regierungen, vor allem Österreich unter dem Fürsten Metternich, war diese politische Agitation verdächtig. Die Burschenschaften wurden verboten, über die Turner wurde eine Turnsperre bis 1842 verhängt, Jahn fast sechs Jahre eingesperrt.
Nach der gescheiterten deutschen Revolution von 1848/49, an der sich auch Turner aus dem sächsischen und südwestdeutschen Raum beteiligten, wurden zahlreiche Turnvereine aufgelöst oder polizeistaatlich überwacht. Zu einer Wiederbelebung der Turnbewegung kam es in den 60er Jahren, als sich Preußen an die Spitze der deutschen Einigungspolitik stellte, was schließlich nach drei Kriegen zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs von 1871 führte. In diese Zeit fällt auch die Gründung des Turnvereins Brennet-Öflingen am 17.4.1891, als sich zehn sportbegeisterte Bürger im „Gasthaus zum Schwanen“ einfanden.
Fahnenweihe
Auffallend ist, dass die wenigen Mitglieder sehr aktiv waren. Nach der 1. General-versammlung im „Gasthaus zum Wehratal“ im Januar 1892 folgten elf weitere „Monats-versammlungen“ bzw. Ausschusssitzungen. Dabei ging es um Wahlen, Aus- und Eintritte von Mitgliedern, Abhaltung von Schauturnen und Gestaltung von Weihnachtsfeiern. Im Jahre 1894 konnte der inzwischen auf 120 Mitglieder angewachsene Verein seine Fahnen-weihe mit einem großen Fest mit 21 Gastvereinen feiern. Diese kamen aus dem Wiesental, dem Rheintal, aus Basel und aus dem damals deutschen Elsass. Nach Böllerschüssen und der Begrüßung der Festgäste versammelte man sich auf dem Festplatz. Nach der Übergabe und Weihe der Fahne wurde geturnt, die Siegerehrung bestand aus Kränzen und Diplomen (Ehrenurkunden).
Die Ehrenurkunde
Die Ehrenurkunde, die der Turner Karl Kunzelmann beim Wettturnen anlässlich der Fahnenweihe des TV Brennet-Öflingen erhielt, zeigt, wie das Deutsche Kaiserreich die Turnbewegung für seine Zwecke vereinnahmt. Die überladene Gestaltung des Schmuckblattes war typisch für das späte Kaiserreich, was auch in damaligen Geldscheinen- z.B. dem blauen Hunderter von 1910- zum Ausdruck kam. Umrahmt wird das Textfeld von einer Eiche und dem „seligen“ Turnvater Jahn, den Engel begleiten. Das alte Turnermotto „frisch, fromm, fröhlich, frei darf nicht fehlen, die beiden Turner halten eine Fahne in den damaligen deutschen Farben schwarz, weiß und rot mit dem Turnerspruch „Gut Heil“. Im rechten Teil erkennt man etliche turnerische Utensilien wie Barren, Pferd, Hanteln, aber auch ein für frühere Zeiten typisches Trinkhorn. Ebenfalls darf die Laute mit den Noten nicht fehlen, was auf die enge Verbindung von Turnen und Musik hindeutet. Am linken unteren Bildrand wird das Kaiserreich mit dem bekrönten Adlerwappen und der Umschrift „Was ist des Turner Vaterland? – Ganz Deutschland soll es sein“ symbolisiert. Hier zeigt sich ganz deutlich die Umdeutung des vaterländischen Liedes von Ernst Moritz Arndt, das 1813 während der Napoleonischen Kriege entstand. („Was ist des Deutschen Vaterland“) Die Turnbewegung wird also ganz im national-monarchischen Sinne eingebettet.
Erster Weltkrieg
Ein weiterer Markstein war 1899 der Bau der Turnhalle, die von der MBB finanziert wurde. Die aktiven Turner bestritten bis zum Ersten Weltkrieg viele Wettkämpfe und erreichten gute Platzierungen. Im Vereinswettturnen, bei dem es neben dem Schwierigkeitsgrad auch auf die synchrone Aufführung der gleichzeitig turnenden Riege ankam, belegte der Verein stets den ersten Platz.
Der Erste Weltkrieg führte dazu, dass viele junge Männer zum Kriegseinsatz eingezogen wurden und die Vereinsarbeit unterbrochen werden musste. Die letze ordentliche Versammlung (Protokoll Nr. 155) wurde am 11. Juli 1914, kurz vor dem Beginn des Krieges am 1. August, abgehalten. Am 30. Januar 1915 fand die vorläufig letzte Versammlung statt, die der schon gefallenen Vereinsmitglieder gedachte. Auf eine Generalversammlung wurde verzichtet, da über 30 Mitglieder eingezogen worden waren.
Nach dem Krieg
Damit ruhte ab 1915 die Vereinstätigkeit bis zum März 1919, als die erste Versammlung nach dem Krieg abgehalten werden konnte. Der Vorstand Geiger äußerte, „jetzt gelte es, mit frischem Mut von neuem zu beginnen getreu unserer alten Ziele: bürgerliche und sittliche Kräftigung, ferner Pflege der vaterländischen Gesinnung“. (Protokoll Nr. 158) Der 1920 neu gewählte 1. Vorstand Eugen Denk stellte dem Verein ein der MBB gehörendes Gelände unentgeldlich als Sport- und Spielplatz zur Verfügung. Das Vereinsleben erholte sich rasch, schon 1920 gab es eine Theateraufführung und eine Maiwanderung. Am 23. Mai wurden die heimgekehrten Kriegsgefangenen von sämtlichen Öflinger Vereinen begrüßt. Am Abend fand im „Gasthaus zum Wehratal“ eine Feier statt, bei der der Turnverein die beliebten Barren- und Pferdpyramiden mit bengalischer Beleuchtung aufführte, was von den Zuschauern gebührend beklatscht wurde.
Die nach dem Krieg angegliederte Fußballabteilung erlitt schon kurz darauf einen herben Rückschlag. Am 3. Oktober 1920 wird bei einem Freundschaftsspiel in Murg der langjährige Vorturner Hans Walcher nach einem Zusammenprall mit dem gegnerischen Torwart so schwer verletzt, dass er noch auf dem Platz stirbt. Die Abteilung Fußball wurde nach der Gründung der Sportvereinigung Brennet schließlich aufgelöst.
Die schwierigen Anfangsjahre der jungen Weimarer Republik mit den Reparationskosten, den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linken und rechten Radikalen, der französischen Ruhrbesetzung und der Inflation gingen auch am Turnverein nicht spurlos vorbei. Die Protokolle des Jahres 1923 zeigen sich ständig erhöhende Summen bei Ein- und Ausgaben, von der Abhaltung einer Fastnachtsfeier wurde „infolge der schwierigen Lage Abstand genommen. (Protokoll Nr. 170) Der inflationäre Kassenbericht des Jahres 1923 belief sich auf 274.001.129.348 Mark Einnahmen und 113.379.683 Mark Ausgaben. Der Kassenbestand betrug also knapp 274 Mrd. Mark, was nach der Neuordnung der Währung einen Betrag von 27 „Goldpfennig“ ergab. (Protokoll Nr. 174)
Aufschwung und Albert Urich
Der Turnverein hatte im Jahre 1927 125 Mitglieder, davon aber nur 8 Aktive und 13 Zöglinge. Deshalb wurde die Neuerung, die im September eingeführt wird, langfristig von großer Bedeutung. Die „Goldenen Zwanziger“, die auch durch eine Emanzipation der Frau geprägt waren, zeigten sich in der Gründung der ersten Frauenturnabteilung mit 17 Mitgliedern.
Das Deutsche Turnfest im Juli 1928 in Köln brachte für den Verein einen großen Erfolg. Von den zwei teilnehmenden Turnern Albert Urich und Franz Wunderle belegte Urich im Gerätezehnkampf den 4. Platz. Das Protokoll verzeichnet den Dank des Vereins. „… und danken wir den Siegern für die Mühe und Arbeit, der sie sich hingaben und wodurch sie unseren Verein zu solchen Ehren brachten, insbesondere dem 1. Turnwart Albert Urich, der sich mit seinem Siege als erster Turner Badens emporschwang und sich und unserem Verein in ganz Deutschland und über dessen Grenzen hinaus einen Namen schuf“. (Protokoll Nr. 198) Die heimkehrenden Turner wurden von vielen Einwohnern Öflingens am Bahnhof empfangen und unter Musikbegleitung zu einem Auto getragen, worauf im „Gasthaus zum Wehratal“ eine Siegesfeier stattfand.
Einfluss der nationalsozialistischen Herrschaft
Einen Einschnitt in das Vereinsleben stellte die nationalsozialistische Herrschaft dar. Schon im Mai 1933 wurde eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, die im Zuge der Gleichschaltung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von oben angeordnet wurde. Die Vorstandschaft passte sich – wohl notgedrungen- dieser Entwicklung an und stellte sich „restlos auf den Boden der nationalen Erhebung und damit hinter deren Führer Adolf Hitler“, was zur Folge hatte, dass eine Neubesetzung von Ämtern nicht notwendig wurde (Protokoll Nr. 224). Der Verein wurde nun eingebunden in die NS- Feste und deren Riten. Die Protokolle vermerken die Teilnahme am „Tag der nationalen Arbeit“ (1. Mai) und an der Sonnenwendfeier im Juni. Siegreiche Turner wurden nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von SS und SA am Bahnhof empfangen.
Die Feier zur Einführung des Pflichtturnjahres im Oktober 1933 aber zeigt, wie das NS- Regime die alten Ziele der Turnbewegung umdeutet. Die Turner sollten zu verantwortungs-bewussten, vaterlandstreuen Menschen herangebildet werden, die „dadurch zu staats-treuer Gesinnung und freudigen Hingabe für das Volkganze erzogen werden“ (Protokoll Nr. 230) . Der für die Turnbewegung ebenfalls wichtige Wert der persönlichen Freiheit und Individualität bleibt hier bewusst ausgeklammert.
Auf Veranlassung des Turnerbundes wurde das sogenannte Dietwesen eingeführt. Ein neu gewählter Dietwart sollte den Turnerinnen und Turnern Vorträge über deutsche Geschichte und Brauchtum halten, um sie so „im Sinne der Regierung Adolf Hitlers zu erziehen“ (Protokoll Nr. 247). Die Einflussnahme des nationalsozialistischen Staates zeigt sich auch darin, dass jugendliche Neumitglieder zuerst in die Hitlerjugend bzw. in den Bund deutscher Mädel eintreten mussten. Auf diese Weise übernahm der Turnverein die für die Nazis wichtige körperliche Erziehung (im Hinblick auf künftig zu führende Kriege), während die HJ die weltanschauliche Schulung vornahm.
Der Kriegsbeginn 1939 hatte weitreichende Folgen auch für den Verein. Der Vereinsführer - wie der 1. Vorsitzende seit 1933 genannt wurde - schrieb blumig, der „Kriegsgott Mars habe mit rauher Hand in das Vereinsleben eingegriffen und sei dabei nicht schonend verfahren“ (Protokoll Nr. 316). Zuerst wurde dem Verein die Turnhalle entzogen, fast 30 Mitglieder in die Armee eingezogen. Ein regulärer Turnbetrieb war also nicht mehr möglich.
Im Protokollbuch findet sich am 31.1.1940 ein Schreiben des Vorstandes an die “Vereins-kameraden im feldgrauen Rock“, das den Feldpostpäckchen mit Gebäck und Zigaretten beigelegt wurde, die der Verein an seine eingezogenen Kameraden schickte, verbunden mit der Hoffnung „auf ein baldiges Wiedersehen nach dem errungenen Sieg“. Die gähnende Leere im Protokollbuch danach spricht für sich, der Verein hatte aufgehört zu existieren
Neugründung
Nach der Kapitulation der Wehrmacht löste die französische Besatzungsmacht die Vereine auf. Die Turnhalle wurde der MBB zurückgegeben und zu Wohnzwecken umgebaut. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 äußerten ein Jahr später ehemalige aktive Turner den Wunsch , die Tradition des Turnvereins weiterzuführen. So wurde am 7.4.1951 der Verein wieder gegründet und ein Übungsraum angemietet. Im Juni fand ein Schülerturnier in Brombach statt, an dem sich der TV das erste Mal nach dem Krieg beteiligte. Im gleichen Monat gratulierten die Öflinger Vereine dem Seniorchef der MBB, Carl Denk, zum 75. Geburtstag. Die Firma hatte sich unmittelbar nach der Neugründung finanziell an der Reparatur von Turngeräten beteiligt.
Die 50er Jahre waren gekennzeichnet von einer intensiven Breitenarbeit; allerdings waren die Übungsmöglichkeiten bis zur Einweihung der Schulsporthalle 1959 recht begrenzt. 1958 gründete der Verein eine Skiabteilung. Diese plante den Bau eines Skiheimes in Todtmoos. Rechtliche Fragen führten dann dazu, dass diese Abteilung sich 1963 als Skiclub Öflingen selbstständig machte.
Der Turnverein nahm einen deutlichen Aufschwung, was sich in der Mitgliederzahl (350) ausdrückt. Vor allem im Kunstturnen der Mädchen wurden ab Ende der 60er Jahre hervorragende Leistungen erzielt. Bettina Schmidt wurde 1969 Gausiegerin und Deutsche Meisterin im Jugend-Achtkampf. Dieser turnerische Höhenflug konnte auch in den 70er und 80er Jahren fortgesetzt werden. Stellvertretend stehen hier Annette Meier als Achtkampfsiegerin bei den Badischen Schüler-Turnmeisterschaften 1979, Martina Leist als Badische Schülermeisterin 1980 und Deutsche Vizemeisterin am Schwebebalken 1982, Julia Zielinski als Deutsche Vizemeisterin im Pferdsprung. Neben den sportlichen Glanzpunkten darf aber auch der Breitensport nicht vergessen werden. Zur beständigsten Gruppe, die noch heute existiert, entwickelte sich die Frauenabteilung unter der Leitung von Gertrud Walter und später Monika Urich.
Paul Schlageter
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